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AutorenbildAntje Bek

Das Atmen des Schulkindes als pädagogische Aufgabe

„(…) und die Erziehung wird darin bestehen müssen, richtig atmen zu lehren.“

Rudolf Steiner (s.Fußnote 1)




Viel wurde bereits darüber gesprochen bzw. geforscht, welche Folgen das Tragen von Masken für die Schulkinder aus medizinischer und psychologischer Sicht hat.


Die zentrale Aufgabe der Waldorfpädagogik

In diesem Beitrag soll nun einmal auf ein zentrales Anliegen und damit eine Aufgabe der Waldorfpädagogik geblickt werden, über die Rudolf Steiner bereits am ersten Tag des 1. Lehrerkurses vor nun mehr als 100 Jahren gesprochen hat. Er wies die LehrerInnen darauf hin, dass es insbesondere ihre pädagogische Aufgabe sei, die Kinder richtig atmen zu lehren[1]. Auf dieses Thema und dessen Zusammenhang mit dem gesamten späteren Leben der Kinder ist Rudolf Steiner dann auch später in verschiedenen anderen pädagogischen Vortragszyklen explizit eingegangen[2].


Das Leben als Ein- und Ausatmungs-Prozess

Der Atem hängt mit dem gesamten Lebenslauf des Menschen innig zusammen: Das Leben beginnt mit dem Einatmen und endet mit dem Ausatmen, wir können es auch als einen einzigen großen Atemzug betrachten. Mit dem ersten Atemzug verbindet sich das Seelenwesen des Kindes so mit seinem irdischen Kleid, dass es ab diesem Zeitpunkt in direkte Beziehung zur Außenwelt tritt; häufig folgt auf den ersten Atemzug auch eine seelische Äußerung, in der sich ein Inneres hörbar kund tut: Der erste Schrei. Mit dem letzten Atemzug löst sich das Seelenwesen des Menschen wieder aus seinem – nun verwandelten – Leib und kehrt in seine geistige Heimat zurück.


Die kindliche Entwicklung als Inkarnationsprozess

In der pädagogischen Schrift „Die Erziehung des Kindes vom Gesichtspunkt der Geisteswissenschaft“ zeigt Rudolf Steiner auf, wie sich das geistig-seelische Wesen des Kindes im Laufe seiner Entwicklung immer tiefer mit seiner Leiblichkeit verbindet, bis es etwa mit 21 Jahren gänzlich eigenverantwortlich und selbständig seinen irdischen Lebensweg beschreiten kann. Dieser Entwicklungsprozess lässt sich auch am Atem beobachten. Wer einmal einem kleinen Kind, während es schläft, zugehört hat, wird bemerken, dass es wesentlich schneller und flacher atmet als ein Erwachsener. [3] Auch der Puls der kleinen Kinder ist noch deutlich höher als der der Erwachsenen. Erst mit der Pubertät hat die Lunge annähernd ihre endgültige Größe erreicht und damit das Atemvolumen eines Erwachsenen. Das bedeutet, dass sich der Atem im Laufe der Entwicklung vertieft und verlangsamt, das Seelenwesen zieht mit dem Atem immer tiefer in den Leib ein, es inkarniert sich. Dieser Inkarnationsprozess über die Atmung dominiert vor allem die kindliche Entwicklung im Alter zwischen 7 und 14 Jahren. Er geht einher mit einer Veränderung des Verhältnisses der Atem-/Pulsfrequenz, dem Wachstum der Muskulatur, dem Wachstum/der Ausbildung des weiblichen bzw. männlichen Skeletts sowie der Ausreifung der Geschlechtsorgane.


In einem Vortrag zur „Sozialen Hygiene“ macht Rudolf Steiner 1920 darauf aufmerksam, was es bedeutet, wenn die Kinder in dieser Zeit nicht richtig atmen können: „Man kann gar nicht eigentlich, ohne wirklich umfassend den Menschen zu kennen, ermessen, was es heißt: die Kinder sitzen in der Schule mit gebückten Rücken, so daß fortwährend ihre Atmung in Unordnung ist, oder Kinder werden nicht angehalten, laut und deutlich, deutlich vokalisierend, deutlich konsonantisierend zu sprechen. Das ganze spätere Leben hängt im Wesentlichen davon ab, ob das Kind in der Schule in der richtigen Weise atmet und ob es angehalten wird, laut und deutlich und artikuliert zu sprechen.“[4] An anderer Stelle betont Rudolf Steiner, dass die Kinder, wenn sie nicht richtig atmen lernen, in ihrem Wachstum beeinträchtigt und dadurch nicht unbedingt äußerlich sichtbar, aber innerlich stark beeinträchtigt werden, und zwar mit Folgen für ihr gesamtes späteres Leben.[5]


Gesundes Atmen durch Sprechen und Singen

Da der Atemprozess als solcher ein halbbewusster ist, darf er es für die Kinder auch bleiben, damit er sich gesund entwickeln kann. Nicht durch bewusste Atemübungen wird Einfluss auf den Atem der Kinder genommen, sondern indem die PädagogInnen das schöne, mit Gefühl und Rhythmus durchlebte Sprechen und Singen mit den Kindern praktiziert, harmonisiert er den Atem, indem dieser sich dem Sprechen und Singen anpasst. Auf diese Weise wird eine gesunde Entwicklung der Kinder, wird der gesamte Inkarnationsprozess in einer heilsamen Weise gefördert.


Die Veränderung des Atmens durch Masken

Durch das Tragen von Masken verändert sich nicht nur der CO2-Gehalt in der Atemluft – wie kürzlich auch eine Studie[6] nachwies -, sondern darüber hinaus auch der Atem als solcher, der einen Ausgleich für die veränderte Atemluft zu schaffen versucht. Dadurch kann äußerlich der Anschein erweckt werden, dass den Kindern das Tragen von Masken nichts ausmacht und sie nach einer gewissen Gewöhnungszeit gut damit zurechtkommen. Die Forscher der genannten Studie hatten beobachtet – und das könnte jeder einmal selbst versuchen zu verifizieren -, dass jüngere Kinder mit Maske schneller und flacher, ältere dagegen tiefer atmen als ohne Maske.


Wenn die jüngeren Schulkinder nun schneller und flacher atmen, fallen sie sozusagen in dieser Hinsicht wieder zurück in vergangene Entwicklungsperioden, in denen sich das Seelenwesen noch nicht so tief mit dem Leib verbunden hatte. Dies bedeutet andererseits, dass durch das flachere Atmen der weitere Entwicklungs- und Wachstumsprozess behindert wird. Aus diesem Grund hat das Tragen von Masken für Kinder noch einmal eine ganz andere Bedeutung als für Erwachsene.


Kann man einen Ausgleich schaffen?

Rudolf Steiner macht in dem obigen Zitat darauf aufmerksam, wie ungesund bereits das viele – gebückte – Sitzen für die Entwicklung der Kinder ist. Nun wird durch die Masken nachhaltig, über den gesamten Schultag, in den Atem der Kinder auf vielfache Weise eingegriffen, es werden Bedingungen geschaffen, die die Aufgabe der LehrerInnen nicht nur erschweren, sondern dieser Aufgabe und den sonstigen Bemühungen der WaldorfpädagogInnen geradezu entgegenarbeiten. In Zeiten, in denen die Kinder Masken tragen müssen, müsste man eigentlich viele Stunden des Tages mit ihnen singen, musizieren und Sprachübungen - ohne Maske - machen, um dies wieder auszugleichen… - Ansonsten trägt man als LehrerIn – ob bewusst oder unbewusst – mit dazu bei den Inkarnationsprozess der Kinder zu behindern anstatt ihn zu fördern und zu unterstützen. Die gesundheitlichen und seelischen Folgen für das spätere Leben werden sich dann in vollem Umfang erst im Erwachsenenleben der heutigen Kindergeneration zeigen.


[1] „Grob ausgedrückt, können wir sagen: Das Kind kann noch nicht innerlich richtig atmen, und die Erziehung wird darin bestehen müssen, richtig atmen zu lehren.“ Rudolf Steiner, Allgemeine Menschenkunde, GA 293, S. 25 [2] s.a. GA 301, 7.5.20, GA 311, 18.8.1924 [3]https://flexikon.doccheck.com/de/Atemfrequenz

  • beim Neugeborenen etwa 40-45 Atemzüge/min

  • beim Säugling etwa 35-40 Atemzüge/min

  • beim Kleinkind etwa 20-30 Atemzüge/min

  • beim Kind etwa 16-25 Atemzüge/min

  • beim Erwachsenen etwa 12-18 Atemzüge/min

[4] Rudolf Steiner, Die Hygiene als soziale Frage, Vortrag vom 7. April 1920, GA 314, S. 23, [5] „Gerade an dem, was das Kind innerlich musikalisch erlebt, kann man Einsichten bekommen, wie sich diese drei kindlichen Lebensperioden voneinander unterscheiden. In der ersten Lebensperiode, bis etwa zum vollendeten neunten Jahre hin, will das Kind alles, was an es herandringt, in innerlichen Rhythmen, in innerlich Taktmäßigem ausleben, das sich mit seinem Atmungs- und Herzrhythmus zusammenfügt, und dadurch mittelbar wiederum mit dem, wie die Muskeln, wie die Knochen sich gestalten. Und wenn es sich nicht zusammenfügt, wenn das eine gewissermaßen nicht in das andere übergeht, so entwickelt sich der Mensch eben, nicht gleich äußerlich sichtbar, aber doch als eine Art innerlicher Krüppel.“,Rudolf Steiner, GA 303, S. 156 f [6] https://jamanetwork.com/journals/jamapediatrics/fullarticle/2781743

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