des Bundes der Freien Waldorfschulen
Der Text des nachfolgenden offenen Briefes1 bezieht sich auf den Aufruf zur Demokratie2 vom 31. Januar 2024 des Bundes der Freien Waldorfschulen. Er wurde von Gerd Kellermann verfasst, der viele Jahre selbst Mitglied des Vorstandes der Bundes der Freien Waldorfschulen war und außerdem Sprecher der Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) der Waldorfschulen in NRW.
OFFENER BRIEF
Aufruf: Waldorfschulen für eine vielfältige, inklusive und demokratische
Gesellschaft
gegen jegliche Form von Diskriminierung, gegen Antisemitismus und politischen
Extremismus
Sehr geehrte Unterzeichner dieses Aufrufs,
ich begrüße es, dass Sie sich für eine vielfältige, inklusive und demokratische Gesellschaft
einsetzen wollen
Ich bin allerdings über diesen Aufruf entsetzt, vor allem darüber, dass Sie unter dieser
Überschrift selbst Menschen und Gruppen von Menschen diskriminieren.
Bitte keine Bevormundung
Ich traue jedem gebildeten Menschen ein richtiges eigenes Urteil über die genannten
einzelnen Protagonisten und ihre Ziele zu und brauche da keine Belehrung durch eine
Organisation die die Schulen vertritt, deren Ideale ich vertrete.
Wenn es notwendig ist, dass der Bund als Vertreter der Schulen sich zur Demokratie
bekennt, würde es meines Erachtens vollkommen reichen, dies mit den positiven Werten
der Demokratie und vor allem der Waldorfpädagogik und dem Menschenbild Rudolf
Steiners zu belegen.
Sehr problematisch finde ich es, sehr unterschiedliche Gruppierungen von Menschen in
gleicher Weise für „rechtsextremistisches, faschistisches, antisemitisches oder völkisch-
biologistisches“ Gedankengut verantwortlich zu machen.
Ich persönlich habe ein deutliches Bewusstsein dieser Eigenschaften und werde sie bei
jedem, der mir begegnet, bekämpfen.
Wenn Sie meinen, dass Ihre Mitglieder Hilfe bei der Bewusstseinsbildung brauchen, wäre
es gut, wenn Sie, z.B. als Handreichung für Lehrerinnen und Lehrer, beschreiben würden,
was rechtsextremistisch, faschistisch, antisemitisch, oder völkisch-biologistisch ist, wie
man es erkennen und wie man ihm begegnen kann. Das wäre kommunikationsfördernd.
Sie könnten jedem Einzelnen überlassen zu entscheiden, bei welcher Gruppierung er das
findet, und wie er darauf reagiert.
Ich will mich an dieser Stelle eigentlich gar nicht mit den einzelnen inkriminierten
Personen und Gruppierungen beschäftigen, möchte aber doch sagen, dass ich mich mit
den Zielen der BASIS soweit auseinandergesetzt habe, dass ich keinen Hinweis auf die im
letzten Absatz inkriminierten Eigenschaften erkennen kann. Ihre Quellenangaben geben
hier auch nichts her.
Achtung! Nicht den gesellschaftlichen Rechtsruck verschleiern
Ich bin bewusst Mitglied keiner Partei, weil ich nur meinem eigenen Gewissen
verantwortlich sein will. Ich bin aus dieser Haltung heraus oft für den Frieden und die
Freiheit auf die Straße gegangen. Ich freue mich, dass bei einem so großen Teil unserer
Bevölkerung das politische Bewusstsein noch nicht so sehr eingeschlafen ist, dass wieder
Transparente gemalt werden. Ich sehe aber ein Problem darin, wenn sich dieses
Bewusstsein ausschließlich gegen einzelne Menschen und Gruppierungen richtet und
befürchte, dass damit der Rechtsruck unserer Gesellschaft und der uns derzeit
regierenden Parteien verdeckt wird.
Dazu tragen Sie leider bei. Ich wünschte mir Parolen, Erkenntnisse und Handlungen für
ein multikulturelles Zusammenleben in unserem Land, für den Frieden in der Ukraine
und in Israel, und insbesondere für Menschlichkeit und gegen Dämonisierung von
Andersdenkenden. Dann spielte es keine Rolle, ob diejenigen, die diese Werte ablehnen,
Rechte oder Linke sind.
Dämonisierung ist eine Sackgasse für die Philosophie der Freiheit
Die Art Ihrer Argumentation führt direkt in die Sackgasse der Dämonisierung, in der wir
uns spätestens seit der Corona-Zeit befinden. An die Stelle der Auseinandersetzung tritt
das Ausschlussverfahren: die „Guten“ definieren, was gut ist, und schließen sich von den
anderen ab, verweigern das Gespräch und packen sich selbst und auch die anderen in
jeweils unterschiedliche Schubladen. Philosophie der Freiheit, Adieu.
Demokratie braucht eine offene Gesellschaft. Wer für eine offene Gesellschaft eintreten
möchte, muss ihren Gegnern zuhören und praktische Antworten auf deren Argumente
geben. Die Befürworter einer multikulturellen, inklusiven und demokratischen
Gesellschaft kommen diesem Ideal keinen Schritt näher, wenn sie Gegenargumente
einfach ignorieren und bloß verbal „gegen Rechts“ sind. Und schon gar nicht, wenn sie
einzelne Protagonisten und Gruppierungen (hier 5) brandmarken, die in ihren Augen
dieses „Rechts“ verkörpern. Sie decken damit den Rechtsruck der Gesellschaft und
fördern ihn sogar.
Offene Gesellschaft – geschlossene Gemeinschaft
Durch ihren Aufruf tragen Sie nicht zu einer offenen Gesellschaft bei, sondern fördern eine
geschlossene Gemeinschaft und definieren, wer nicht dazu gehört. Es geht nicht um das
Gespräch und die differenzierte sachliche Auseinandersetzung, sondern darum, Menschen
mit anderen Meinungen zu beurteilen, mundtot zu machen, zu diskriminieren.
Dem Vorwurf, eine geschlossene Gemeinschaft (gar eine Sekte) zu sein, begegnet die
anthroposophische Bewegung immer wieder. Sie versuchen Offenheit zu beweisen, indem
Sie sich der Gesellschaft in einer in unserer Zeit gerade sehr populären Weise
vermeintlich dadurch öffnen, dass sie eine Gemeinschaft mit Schwarz-Weiß Denkern
bilden.
In meinen Augen hat anthroposophische Pädagogik so viel Kraft, dass sie das nicht nötig
hätte. Und ich bin der Überzeugung, dass Ihr Aufruf sowohl dieser Kraft als auch der
demokratischen Gesellschaft schadet.
Mit freundlichem Gruß
Gerd Kellermann
1. Brief von Gerd Kellermann im Original hier
2. Aufruf des Bundes der Freien Waldorfschulen hier
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