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AutorenbildAntje Bek

Was haben Waldorfschulen und Waldorfpädagogik gemeinsam?


Foto : AFIM / Unsplash



Die im Titel erwähnte Frage darf zunächst für Irritationen und weitere Fragezeichen sorgen. Ist das denn nicht das Gleiche? Waldorfschule und Waldorfpädagogik?


Waldorfschule und Waldorfpädagogik

Schon rein äußerlich betrachtet muss dies durchaus nicht das Gleiche sein. Waldorfschule darf sich heute nur nennen, wer dazu vom Bund der Freien Waldorfschulen die Lizenz erhalten hat, denn der Begriff „Waldorfschule“ (und auch Rudolf-Steiner-Schule) ist seit 1983 patentiert. Allein der Bund der Freien Waldorfschulen hat – nach eigenen Kriterien und Richtlinien – das Recht diesen Namen zu vergeben. „Waldorfschule“ bzw. „Rudolf-Steiner-Schule“ kann sich mithin eine Institution nennen, die dieses Recht nach Durchlaufen entsprechender Verfahren und Erfüllung gewisser Kriterien erworben hat, begleitet von so genannten Gründungsberatern des Bundes.


Bei der Waldorfpädagogik, die als Begriff nicht „geschützt“ ist, handelt es sich – wie der Name schon sagt – nicht um eine Institution, sondern sie ist der heute gebräuchliche Name einer Pädagogik, für die Rudolf Steiner aus der Anthroposophie heraus Anregungen gegeben hat. So wenig wie die Anthroposophie ist Waldorfpädagogik an bestimmte Institutionen gebunden. So sehr der Name einer Institution zwar Erwartungen an die darin praktizierte Pädagogik hervorruft, so wenig kann diese allein aufgrund des Namens garantiert werden (trotz Namensrecht).


Geschichte des Namens

Der Name „Waldorfpädagogik“ hängt allerdings sehr eng mit der Geschichte der ersten Schule überhaupt zusammen, die 1919 in Stuttgart auf Initiative des Besitzers der Zigarettenfabrik „Waldorf Astoria“ für die Kinder der Fabrikarbeiter gegründet wurde. Emil Molt, der Besitzer der Fabrik, finanzierte diese Schule aus seinem Vermögen, war also der Sponsor der Schule. Daher tauchte der Name der Fabrik im Namen der Schule auf, was wiederum zur Bezeichnung der darin praktizierten Pädagogik als „Waldorfpädagogik“ geführt hat.


Rudolf Steiner hielt, so oft und lange er konnte, gemeinsam mit den Lehrern der ersten Waldorfschulen die Konferenzen ab. In der Konferenz vom 29.Juli 1920, also ein knappes Jahr nach Gründung der Schule, ging es auch um ihren Namen. Von Seiten eines Kollegen wurde Kritik an dem Namen (Waldorfschulverein) geübt. In diesem Zusammenhang führte Rudolf Steiner aus, dass ein eventuell neuer Name der Schule nicht mit seinem eigenen Namen, aber auch nicht mit „Anthroposophie“ verbunden werden solle, sondern es müsse „etwas sein, was hinweist auf Zukunft. Da müsste man scharf nachdenken, auf etwas, was darauf hinweist, dass es sich um staatslose Schulen handelt. Staatslosigkeit, die Begründung der Schule ohne den Staat, dass diese Sache sichtlich zum Ausdruck kommt. Das kommt nur durch eine neutrale Bezeichnung zum Ausdruck. Das haben wir in der Waldorfschule durch „frei“ zum Ausdruck gebracht. Die Bezeichnung der ´Freien Waldorfschule´“ war gut für den ersten Anfang.“[1]


Waldorfschule als Kompromiss

Die erste „Freie Waldorfschule“ stellte bereits einen Kompromiss dar, da sie nicht in völliger Unabhängigkeit von staatlicher Aufsicht und Vorgaben begründet werden konnte. Aufgrund einer – wie Rudolf Steiner es nannte – „Lücke“ im damaligen Schulgesetz war es Rudolf Steiner jedoch möglich Lehrer unabhängig von einer staatlichen Lehrerprüfung zu berufen und damit die Menschen, die er für diese Aufgabe für befähigt hielt. Einen Lehrplan sollte es für eine freie Schule nicht geben, der Unterricht und seine Inhalte sollte sich nach den Kindern richten. Um die Genehmigung für die Schule zu erhalten, arbeitete Rudolf Steiner für die Behörden einen Kompromiss aus: Im 3., 6. und 8. Schuljahr sollten die Schüler die damaligen Lehrziele der staatlichen Schulen erreicht haben, um problemlos auf andere Schulen wechseln zu können. In den Zwischenzeiten sollte der Lehrplan von den Lehrern völlig frei gestaltet werden können.


Es war sicherlich kaum je deutlicher als heute, dass die „Freien Waldorfschulen“ keineswegs frei vom Staat sind – und dies in jeglicher nur denkbaren Hinsicht. Inwiefern es überhaupt noch berechtigt ist den von Rudolf Steiner für den ersten Anfang passenden Namen zu verwenden könnte einmal grundsätzlich befragt werden.


Wie aber sieht es mit der Waldorfpädagogik aus, wenn doch die entsprechenden Institutionen, d.h. Waldorfschulen, die Hoffnungen und Erwartungen Rudolf Steiners an ein vom Staat befreites Bildungswesen bisher nicht erfüllen konnten?


Rudolf Steiner als „Waldorfpädagoge“

Rudolf Steiner selbst war in jungen Jahren als Hauslehrer tätig. Damals gab es noch keine Schulbesuchspflicht und viele Familien, die es sich leisten konnten, beschäftigten private Lehrer. Rudolf Steiner finanzierte sich mit dieser Lehrtätigkeit sein Studium und machte dabei vielfältige Erfahrungen, die eindrücklichste wohl mit einem als „bildungsunfähig“ geltenden Kind, das dank der pädagogischen Kunst Rudolf Steiners schließlich Medizin studierte und Arzt wurde. Pädagogik ganz ohne Institution, aber wohl im besten Sinne des Wortes „Waldorfpädagogik“, wenngleich es diesen Begriff zu der in Frage stehenden Zeit noch gar nicht gab.


Die ersten Waldorflehrer und die Lehrer an den Waldorfschulen weltweit haben viel zur Entwicklung, Entfaltung und Wirksamkeit einer Pädagogik beigetragen, die auf den Grundlagen der Anthroposophie fußt. Viele haben dafür auch große persönliche Opfer gebracht. Daher hat die gedankliche Verbindung zwischen Waldorfschule und Waldorfpädagogik durchaus ihre Berechtigung und würdigt diesen Umstand.


Andererseits kann es auch zu einer Fessel werden, wenn Waldorfpädagogik und Waldorfschule quasi synonym benutzt werden. Zum einen vernachlässigt man damit die frühe Kindheit und die Waldorfkindergärten, zum anderen erweckt es den Eindruck, als ob Waldorfpädagogik nur in Institutionen praktiziert bzw. dort hindelegiert werden könnte oder gar müsste.


Erziehungsfrage als Kinderfrage

Vom Pädagogen, und in gewisser Weise auch vom Kind aus betrachtet, ist Pädagogik in erster Linie eine Frage an den Einzelnen, also eine Frage der inneren Haltung und Seelenverfasstheit des Erziehers. Rudolf Steiner drückte es einmal so aus: „Dieses mutvolle sich Hineinwagen in das Leben braucht der Lehrer und Erzieher - wie überhaupt die Erziehungsfrage gar nicht eine Lehrer-, sondern eine Kinderfrage ist.“[2]


Es geht also nicht um die Frage der Lehrer: „Wie erziehen wir die Kinder?“, sondern um die Frage der Kinder an die Lehrer: „Wie erzieht Ihr Euch“?


Damit wird deutlich: Waldorf-Pädagoge wird, wer sich dieser Frage stellt. Mit einer Institution hat das zunächst einmal gar nichts zu tun. Diese unausgesprochene Frage der Kinder an die Erwachsenen könnte man auch anders formulieren: Wie lernt Ihr? Wie entwickelt Ihr Euch? Was lernt Ihr durch uns? Es ist die Frage nach dem Entwicklungsweg oder auch Schulungsweg des Pädagogen. Da aber jeder Mensch auf einem Entwicklungsweg ist und diesen bewusst ergreifen kann, betrifft diese Frage jeden Menschen, auch diejenigen, die nicht Lehrer sind oder werden wollen. Es ist eine das ganze Menschsein betreffende Frage. Auf diesem Weg kann die Anthroposophie für den, der sie sucht, eine große Hilfe sein. So wie sie auch eine große Hilfe sein kann, wenn man vor die Aufgabe gestellt ist, Kinder auf Grundlage wahrer Menschenerkenntnis bei ihrem Weg in die irdischen Verhältnisse zu begleiten und zu fördern.


Agenten des Wandels

Neulich las ich den für mich sehr ermutigend klingenden Begriff „Agent oder Agentin des Wandels“. Gerade in der heutigen Zeit in diesem Sinne „Under-Cover“ unterwegs zu sein, das könnte doch richtig Freude bereiten! Ja, solche Agenten können wir alle werden, indem wir mit unserem inneren Wandel beginnen. Und wenn sich dann Menschen zusammenfinden, die diesen Wandel auf den Grundlagen der Anthroposophie anstreben und es sich zur Aufgabe gemacht haben „Menschenpfleger“ – wie Rudolf Steiner es im Grundsteinspruch der 1. Waldorfschule genannt hat – zu werden, dann können Orte („Stätten“) geschaffen werden, an denen die Kinder Gehör für und vielleicht auch Antworten auf ihre vielen unausgesprochenen Fragen finden.



Grundstein-Spruch für die Freie Waldorfschule Stuttgart [3]


Es walte, was Geisteskraft in Liebe Es wirke, was Geisteslicht in Güte Aus Herzenssicherheit Aus Seelenfestigkeit Dem jungen Menschenwesen Für des Leibes Arbeitskraft Für der Seele Innigkeit Für des Geistes Helligkeit Erbringen kann. Dem sei geweiht diese Stätte: Jugendsinn finde in ihr Kraft begabte, Licht ergebene Menschenpfleger. In ihrem Herzen gedenken des Geistes, der hier walten soll, die, welche den Stein zum Sinnbild hier versenken, auf daß er festige die Grundlage, über der leben, walten, wirken soll: Befreiende Weisheit, Erstarkende Geistesmacht, Sich offenbarendes Geistesleben.

Dies möchten sie bekennen: In Christi Namen In reinen Absichten, Mit gutem Willen

Rudolf Steiner











[1] Rudolf Steiner, Konferenzen mit den Lehrern der Freien Waldorfschule in Stuttgart, GA 300a https://ia800504.us.archive.org/31/items/rudolf-steiner-ga-300a/rudolf-steiner-ga-300a.pdf, S. 185 [2] Rudolf Steiner, GA 311, S. 62 ff [3] Rudolf Steiner, GA 269, S. 167

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